Darmstadt, 25. – 27.11.2015
Deadline: Jun 30, 2015
Eine Frau tritt aus der Bahnhofshalle und überquert den
Bahnhofsvorplatz, um kurz darauf in die Straßenbahn zu steigen. Sie
erreicht das Gebäude, in dem sie arbeitet, und geht direkt zur Sitzung
in den Konferenzraum in der zweiten Etage. Später fährt sie mit dem
Fahrstuhl ins Erdgeschoss, um draußen ihre Mittagspause zu verbringen.
Sie eilt zu Fuß durch die Innenstadt und wieder zurück ins Büro, in das
nun die Sonne scheint. Jalousien runter, Licht an.
Dieser Ausschnitt aus einem prototypischen Arbeitsalltag soll zwei
zentrale Aspekte des Themas Architektur im Gebrauch illustrieren: die
Allgegenwärtigkeit und zugleich Beiläufigkeit des Gebauten als Teil
eines unhinterfragten, selbstverständlichen In-der-Welt-Seins.
Signifikant prägt es die lebensweltlichen Praktiken, genauso wie
umgekehrt Vorstellungen von jenen Praktiken Einfluss auf die Gestaltung
der gebauten Umwelt haben. Die Gebrauchserfahrung von Architektur ist
nicht nur ein entscheidender Baustein kultureller und sozialer
Identität, sondern sie konstituiert auch, was wir unter Architektur
verstehen. Grundlage unserer Überlegungen bildet dabei ein weit
gefasstes Verständnis von Architektur, das den Städtebau, den Hoch- und
Tiefbau und die Landschaftsarchitektur ebenso einschließt wie
Infrastrukturbauten.
Das 2. Forum des Netzwerks Architekturwissenschaft möchte sich diesem
Themenfeld in erprobter Weise transdisziplinär nähern. Architektur im
Gebrauch kann und soll aus geistes-, sozial- und
ingenieurwissenschaftlicher Perspektive untersucht werden. Theoretische
Auseinandersetzungen sind ebenso willkommen wie Vorstellungen von
Ergebnissen empirischer Forschung oder strukturierte Beobachtungen aus
der Arbeitspraxis von Architekten und Planern. Zur Bearbeitung werden
zwei grundsätzliche Perspektiven vorgeschlagen:
1. Die lebensweltliche Verankerung des Gebauten
Jeder (ge)braucht Architektur: ein Büroangestellter ebenso wie eine
Architektin. Die Grenze zwischen Nutzer und Expertin verschwimmt. In
dieser Perspektive ist Architektur das Gebaute im weitesten Sinn,
„architecture with a lower-case a“ (Upton 2002) oder auch – nach der
Körperhülle und der Kleidung – die „dritte Haut“ des Menschen (Fischer
2009). In dieser Perspektive geht es um die vielfältigen Weisen, wie
das Gebaute in der Lebenswelt jedes Einzelnen in Erscheinung tritt.
Wann wird es bedeutsam und inwiefern? Welchen Anteil hat die
architektonische Umgebung an der Spezifizität des (Alltags-)Lebens und
wie lässt sich dies wissenschaftlich beschreiben und analysieren?
Können etwa konkrete Praktiken des Gebrauchs von Architektur beobachtet
werden, vergleichbar der Benutzung eines technischen Geräts?
Die lebensweltliche Verankerung des Gebauten zeigt sich jedoch nicht
nur im alltäglichen Umgang mit ihm, sondern auch retrospektiv in
möglichen Gebrauchsgeschichten einzelner Objekte und Gebäude- oder
Raumtypen. Neu- oder Uminterpretationen baulicher Strukturen durch den
Gebrauch reproduzieren nicht nur ein bestimmtes Bild des Verhältnisses
zwischen Planenden und Nutzenden, sie stellen es sogleich auch infrage.
Auch in einer historisierenden Perspektive geht es darum, Gebautes und
dessen Gebrauch zu deuten und zu verstehen. Wie hat sich der Gebrauch
in die baulichen Artefakte eingeschrieben – und wie die Artefakte in
den Gebrauch? Welche Lesarten des Gebrauchs lassen sich anhand des
Gebauten rekonstruieren oder könnten sich zukünftig entwickeln? Welche
Machtverhältnisse manifestieren sich im Gebauten und in welcher Weise
beeinflusst dies die Nutzungsmöglichkeiten und damit auch den
Alltagsgebrauch?
2.Vorstellungen von Gebrauch in der Planung und Produktion des
Gebauten
Der zweite Thematisierungsvorschlag fragt nach dem Architekturgebrauch
aus der Perspektive des Entwurfs und der Herstellung. Welche
Vorstellungen hatte im obigen Beispiel die Architektin des Bürogebäudes
von der Arbeit der künftig dort tätigen Angestellten (und spielten
derartige Vorstellungen in ihren Überlegungen überhaupt eine tragende
Rolle)? Kannte sie die Anforderungen der Arbeitsabläufe und die daraus
resultierenden Bedürfnisse der Mitarbeiter? In dieser Perspektive ist
das Gebaute „architecture with a capital A“ (wiederum Upton). Es geht
um die gezielte Planung und Gestaltung gebauter Umgebungen. Damit rückt
auch das Spannungsverhältnis zwischen der ersten und zweiten
Betrachtungsperspektive in den Blick. Steht das Planungshandeln
womöglich im Konflikt zu einem reibungslosen und somit auch
unauffälligen Architekturgebrauch? Welche Konzepte (z.B. normativ oder
ethisch) von Gebrauch und Nutzung bestimmen die Entwurfspraxis der
Architekten und Freiraumplaner? Ist die Möglichkeit einer späteren
Weiterentwicklung oder Anpassung von gebauten Umgebungen an die
Bedürfnisse der Nutzer Bestandteil von Entwurfs- oder
Betreiberkonzepten? Welche Verfahren gibt es, um den Gebrauchswert von
Architektur und Landschaftsarchitektur zu evaluieren? Wie lässt sich
die Verantwortung von Planern fassen, die sich aus der
Gebrauchsgebundenheit von Architektur ergibt? Inwiefern beeinflusst der
Gebrauch Gestaltungsformen wie auch Lebensformen und in welchem Maße
sollte er das? Welche ethischen Implikationen hat die Wirkung des
Gebauten auf das Leben der Menschen?
Beitragsvorschläge, die obige Fragen oder verwandte Problemstellungen
aufgreifen, bitten wir bis zum 30.06.2015 an
forum2015@architekturwissenschaft.net zu senden (ca. 350 Wörter).
Das Forum Architekturwissenschaft ist eine Veranstaltung des Netzwerks
Architekturwissenschaft e.V. (www.architekturwissenschaft.net). Es
versteht sich als Plattform des wissenschaftlichen Austauschs und der
Vernetzung. In regelmäßigem Turnus greift es relevante Themen der
Architekturwissenschaft auf. Dabei möchte es die Reflexion über
Architektur über Disziplingrenzen hinweg anstoßen und Wissenschaftler
mit unterschiedlichen Forschungspraktiken und -methoden
zusammenbringen. Das 2. Forum Architekturwissenschaft findet in
Zusammenarbeit mit der Schader-Stiftung und der Technischen Universität
Darmstadt statt. Ein Dialog mit Praxispartnern wird integraler Teil der
Veranstaltung sein.
Reference / Quellennachweis:
CFP: Architektur im Gebrauch (Darmstadt, 25-27 Nov 2015). In:
H-ArtHist, May 5, 2015. <http://arthist.net/archive/10195>.
Lecturer, Ph.D. Position/Assistantship, and Postdoctoral Fellowship in Urban Studies
Urban Studies at the University of Basel is rooted in disciplinary approaches of architecture, geography, anthropology, social and political theory, and history, and oriented towards global Southern and postcolonial questions. With a regional focus on Africa, Europe,...